Grün fehlt // green missing

Eine Annäherung an die Lebensbedingungen in der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt Rostock des Ministeriums für Staatssicherheit habe ich mir für den Herbst 2012 zum Thema gewählt.

An den Tagen, an denen ich dort bin, gehe ich stets die gleichen Wege: aus der Zelle, den Flur entlang, das Treppenhaus hinab, in den Freihof. Ich stelle mich wieder und wieder an die gleichen Stellen und fotografiere, wohl wissend, dass der heutige Freihof damals durch Mauern in drei bzw. sechs Zellen aufgeteilt und die meiste Zeit mit einem Gitter überspannt war. Ich versuche, nach zu empfinden und zu verstehen: Was passiert mit mir an diesem Ort? Wie kann es sich angefühlt haben, damals unschuldig inhaftiert gewesen zu sein? Ich stelle mir Opfer und Täter, Inhaftierte, Vernehmer und Wachpersonal vor. Ich gehe bei Führungen mit, erfahre aus der Zeit vor 1989 ständig mir noch Unbekanntes. Und: Das alles war doch gerade erst Gestern.

Unten im Freihof, das Stück Himmel in den Mauern, das kann ich klar wahrnehmen, die Änderungen des Himmels, jeden Tag anders in den gleichen starren Mauern, das gleiche Stück, den gleichen Ausschnitt. Drinnen ist es für mich verschwommen. Ich kann mich auf nichts verlassen, bekomme durch die getrübten Scheiben und Glasbausteine keinen klaren Blick. Meine Fotos werden bewusst unscharf. Es fehlt Grün.

Ich fühle mich berührt, angegriffen. In so einer Welt gelebt zu haben, was hat das mit den Menschen gemacht und was macht es noch heute mit uns und mit denen, die hier arbeiten und die Akten lesen. Diese Gedanken kommen mir.

Renate Schürmeyer im Herbst 2012


My topic for autumn 2012 was; ‘An estimation of the living conditions in the former Department of Investigation Rostock in the government Department for National Security’.

During my days there, I continually took the same route: out of the cells, along the corridor, up into the stairway and out into the open courtyard. I put myself in the same places again and again and take photos, well aware that today’s open courtyard was then separated by walls into three or six cells, and it was covered over with a grating for most of the time. I try to get a feeling and want to understand: what is happening to me in this place? How must it have felt like to have been imprisoned as an innocent person? I imagine the victims and the offenders, those held in custody, the inquisitors and guards. I go on guided tours and constantly learn things I didn't know about from the time before 1989. And: all that was really just yesterday!

Down in the courtyard, the part of the sky that I can clearly see in-between the walls changes each day - different yet still within the same rigid walls, the same piece, the same gap. For me it's blurred inside. I can't depend on anything. Through the windowpanes and glass bricks I don’t get a clear view. My photos will consciously be out of focus. Green is missing.

I feel deeply moved and affected to have lived in such a world. How did it affect the people, what does it do to us today and what about those who work here and read the files? These thoughts come into my mind.

Renate Schürmeyer in the Autumn of 2012

die Titel der einzelnen Arbeiten// the title of each work

Zur Klärung eines Sachverhaltes // For the clarification of a fact
Uniform, Zement, Tisch, Stuhl, Hocker, Schuhe, Kette, 2013 // Military uniform, cement, table, chair, stool, shoes, chain 2013

Pause // Break
Sessel, Radio, Bogenhanf, 2013 // chair, radio, sanseveria, 2013

Innen

nur noch eine Nummer
keinen Namen mehr
Wohin werde ich gebracht?
Wem kann ich noch trauen?

Inside
only just a number
no names any more
Where am I being taken?
Who can I still trust?

Fotos auf MDF, Hocker, 2013 // photos on MDF, stool, 2013

Freihof
vielleicht einmal täglich
3 meter x 4,60 meter
eine Möwe schreit
die Glocke der Marienkirche

Courtyard
maybe once a day
3 meter x 4.60 meter
a seagull screams
the bell of the Marienkirche

Fotos auf MDF, Toninstallation, 2013 // photos on MDF, soundinstallation, 2013

Hoffnung, Beton, Brombeere, 2012 // hope, concrete, bramble, 2012