|
In anderem Licht, 7 Objekte
Zitate von Irmgard und Gerhard Sinner auf
Glas, Spiegel, Folie, Holz, 72,5 x 72,5 x 5 cm, 2010
Zu Zeiten der DDR bot die
Universitätskirche zum Heiligen Kreuz in Rostock der
St. Jakobi-Gemeinde – nach Zerstörung deren Kirchengebäudes
– einen Raum für ihre kirchlichen Handlungen.
Durch die mit Irmgard Sinner geführten Gespräche
bekam die Idee, die Bedeutung dieser Kirche in Zeiten der
DDR zu untersuchen, ein Gesicht.
Ausgewählte von ihr zur Verfügung gestellte Texte
sind in blauen Lichtobjekten auf dem Kirchenboden installiert.
Einfallendes Licht, der Kirchenraum wie auch der Betrachter
werden in ihnen reflektiert.
Irmgard Sinner, geb. Lueben wuchs in der Zeit des Nationalsozialismus
auf. Durch die berufliche Tätigkeit ihres Vaters, der
ab 1942 Generalstabsrichter am Reichskriegsgericht war,
wechselte die Familie Lueben häufig ihren Wohnort.
1944 in Torgau endete abrupt durch den gewaltsamen Tod ihres
Vaters ihre bis dahin behütete Kindheit.
Die Teilung Deutschlands griff schmerzvoll in Irmgard Sinner`s
Leben ein. Ihre Geschwister und Mutter zogen nach Westdeutschland,
sie blieb in der 1949 gegründeten DDR. Ihr Lebensweg
führte sie nach Rostock zu ihren zukünftigen Mann,
den Goldschmied Gerhard Sinner, den sie 1953 in der Universätskirche
zu Rostock heiratete.
Das Ehepaar Sinner erlebte umfangreiche Beobachtungen durch
das Ministerium für Staatssicherheit. Im Februar 1980
wurden beide wegen mehrfacher Verstöße gegen
das Edelmetallgesetz in schwerem Fall vom 1. Strafsenat
Rostock zu sechs bzw. drei Jahren Haft verurteilt. Das gesamte
Vermögen des Ehepaares Sinner wurde eingezogen. Im
September 1981 wurde Irmgard Sinner aus dem Strafvollzug
"Roter Ochse" Halle- Saale entlassen, ein Jahr
später Gerhard Sinner aus dem Strafvollzug Brandenburg.
1983 stellte das Ehepaar einen Antrag auf Familienzusammenführung
und Ausreise aus der DDR, am 25. September 1986 verließ
das Ehepaar die DDR.
Frau Sinner versuchte gemäß ihrer Überzeugung,
geprägt durch das couragierte Verhalten ihrer Mutter
Klara Lueben, geb. von Scholten und dem Erlebten mit ihrerm
Vater, in der Zeit der sowjetischen Besatzungszone sowie
der späteren Deutschen Demokratischen Republik zu leben
und zu überleben.
"….Seid
bitte ganz vorsichtig. Jeder Brief wird fast geöffnet,
kommt aber nie ein Stempel drauf. Rüberkommen ist überhaupt
nicht mehr möglich. 5 km breit wird an der Grenze vollkommen
abgeholzt und eingeebnet, ohne Aufruf sofort geschossen.
Wer rübergeht ist wahnsinnig..... " Irmgard
Sinner an ihre Mutter am 21.06 1952
"Knall,
nicht in Worte zu fassen der Paukenschlag, das dröhnende
Geräusch der einrastenden Tür, der sich im Schloss
drehende Schlüssel. Ich hielt den Atem an. --- Abgebrochen
das, was war. Wahr, was verbrieft mich auf die Abschussliste
brachte. Ein Zurück gab`s nicht mehr. Bedrückend
die Grabesstille, kaltgestellt, ich, ISi...." geschrieben
1993 zum Juli 1979
"…
Ich will menschenwürdig leben.
Ich will nicht wie ein Lockvogel behandelt werden.
Ich will mit meinen Angehörigen leben …
In Ihrer Dienststelle fühle ich mich entmündigt,
klein gemacht, abhängig, zum Warten degradiert, als
Bittsteller um Gnade vor Recht herabgewürdigt, zum
Sündenbock erneut verurteilt, immer wieder, der warten
muss, bis man ihn ruft, bis man ihn fahren lässt, bis
man ihn freistellt, wie er zu gehen, zu denken, zu fühlen
hat. Wer ist dieser man’ ?
Irmgard Sinner an den Leiter der Abt.
Pass- und Meldewesen des VPKA (Volkspolizei-Kreisamt) und
seine Mitarbeiter in Rostock am 10.6.1986
"Es
gibt eine tatsächliche Grenze für menschliche
Vergebung. Sie ist spätestens dann erreicht, wenn die
Opfer selbst nicht mehr sprechen können. Schlimm, was
Menschen anderen Menschen angetan haben, immer wieder, zu
allen Zeiten. Die Erinnerung an das wach halten zu müssen,
was innerhalb meines nahen und fernen Umkreises geschah,
das treibt mich um. Vergessen ist das Gegenteil von Vergebung.
Nur wer sich genau erinnert, kann auch vergeben. Vergeben
heißt: nicht vergessen, sondern die Erinnerung verarbeiten."
im Gespräch mit Edda Ahrberg,
2007
Die Texte sind aus dem Buch
Edda Ahrberg: "In zwei Diktaturen. Eine Familie zwischen
Anpassung und Selbstbehauptung", Herausgeber der Landesbeauftragte
für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen
des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR.
|
|